Wie ist eigentlich das Leben an Bord eines Kreuzfahrtschiffes, wenn man es nicht als Reisender zu Gesicht bekommt sondern dort sein Geld verdient? Wie sind die Arbeitszeiten und wie kommt man an so einen Job?

Auch im dritten Teil unserer Interview-Serie mit dem Kreuzfahrt-Lektor Axel C. Brüggemann widmen wir uns spannenden Fragen rund um den Arbeitsplatz Kreuzfahrtschiff.

Falls Sie unsere ersten beiden Interviews noch nicht gelesen haben, finden Sie hier die Links zum 1. und 2. Teil der Serie.

Ich will Kreuzfahrt-Lektor werden. Was muss ich tun?

In erster Linie muss man sich – wie bei fast allen Jobs – ganz offiziell bewerben. Entsprechende Kontaktadressen findet man leicht im Internet. Außer man hat sich im Vorfeld schon einen Namen gemacht und wird von der Reederei selbst angefragt.

Wird der Lektor zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen, ist es üblich, einen kurzen Vortrag zu halten. Die Reederei beurteilt dann jeweils den Vortragsstil, die Präsentation an sich, sowie das gesamte Bildmaterial.

Es fühlt sich an, als ob es der tollste Job auf Erden ist

Verdient man dabei auch noch Geld oder muss man etwas zuzahlen?

Es ist ein sehr schöner Beruf – ganz ohne Zweifel. Insbesondere deswegen, weil man Menschen mit und über Kultur zum Nachdenken anregen, gezielt informieren und sogar gegen Vorurteile arbeiten kann. Ich bezeichne meine Einsätze als Lektor gerne als Tapetenwechsel oder Gegenpol zu meinem Job als Lab & Product Manager.
Die Frage, ob man damit auch Geld verdient, ist auch bestimmt nicht so sehr ernst gemeint …
Die Vorstellung, dass Lektoren, Schauspieler, Sänger oder Künstler noch Geld mitbringen müssten, wenn sie eine Stunde lang ein Publikum professionell unterhalten und ihre ganze Lebenserfahrung auf die Bühne bringen, verwundert ein wenig. Es ist natürlich ein anspruchsvoller, vollwertiger Job und kein Freizeitspaß.
Ich war im Frühjahr acht Wochen als Lektor unterwegs; Miete, Versicherungen, Rente, Steuern, Auslagen etc. müssen bezahlt werden. Wer denkt, der Lektor macht Urlaub an Bord, sollte sich erst gar nicht bewerben. Kreuzfahrtpassagiere merken sofort, wenn ein „Hallodri“ auf die Bühne kommt. Sie stehen tatsächlich einfach auf und gehen – und kommen beim nächsten Vortrag auch nicht wieder.

Ist das Gefühl oben auf der Bühne ein bisschen so wie bei einem Rockstar, oder eher wie der Fremdenführer mit dem Schirm in der Hand durch das antike Rom?

Ich denke, es liegt irgendwie dazwischen. Auf der einen Seite ist es harte Arbeit, hunderte von Gästen immer wieder zu motivieren, ins Theatrium zum Vortrag zu kommen. Auf der letzten 21-Tage-Reise stand ich 14 Mal auf der Bühne. Die Passagiere haben Urlaub und kein Seminar gebucht – das nächst Interessante ist leider nur einen Blick entfernt. Auf der anderen Seite ist der Lektor kein Comedian. Er soll sehr gerne unterhaltsam informieren, kann gelegentlich in die Tiefe gehen, bleibt aber zumeist populärwissenschaftlich. Ich sehe den Fremdenführer vor Ort eher als Ergänzung zu meinen Vorträgen. Ein Reiseführer hat in erster Linie seine Stadt, oder gar nur diese spezielle Ausgrabungsstätte im Blick (er arbeitet auf der Mikroebene). Der Lektor ist für die gesamte Reiseroute zuständig und stellt auch große Zusammenhänge her, bietet Entwicklungsgeschichte an und spricht über Erinnerungskultur(en) – er arbeitet mehr auf der Makroebene.
Auf einer Reise durfte ich vor 1.500 Gästen einen Vortrag halten; das ist großartig und macht unglaublich viel Spaß!

1500 Zuhörer im Theatrium
1500 Zuhörer im Theatrium

Muss ein Kreuzfahrtlektor alles wissen, oder gibt er auch mal zu, auf eine Frage keine Antwort zu haben?

Niemand kann Alles wissen! Ein Lektor ist selbstverständlich sehr gut vorbereitet und informiert. Er kennt die Häfen der Reise. Sollte mal eine spannende Frage dabei sein, die nicht gleich beantwortet werden kann, so gibt es durchaus die Möglichkeit, die Antwort zu recherchieren und sie in den nächsten Vortrag mit einzubauen. Das kommt bei den Gästen sehr gut an. Ich habe keine Angst vor Fragen, sondern ermutige die Gäste eher, mir welche zu stellen.

Während des Vortrages auf der Bühne finden Publikumsfragen eher selten statt. Aber direkt nach dem Vortrag steht der Lektor den Gästen für Fragen zur Verfügung. Das dauert gerne mal eine gute Stunde und länger. Bei einigen Reedereien gibt es sogar spezielle Fragestunden mit dem Lektor (sog. „Recaps“).

Wie könnte der nächste Schritt auf der Karriereleiter aussehen? Vom Kreuzfahrtlektor zum …? Oder heißt es: Einmal Kreuzfahrtlektor immer Kreuzfahrtlektor?

Hier liegen interessante Vorstellungen vor. Der Lektor an Bord ist nicht bei einer Reederei angestellt, sondern freiberuflich an Bord und für ganz bestimmte Reisen im Jahr eingekauft. Die Entwicklung liegt eher darin, dass man sein Fahrtgebiet stetig erweitert, bis man sich auf der ganzen Welt „heimisch“ fühlt.

Es gibt Lektoren, die Bücher veröffentlicht haben und zu ihrem Thema daraufhin als Edutainer unterwegs sind (d.h. sie geben Vorträge und spezielle Workshops). Auch ich habe schon Vorträge an Bord gehalten, wie man eigentlich gute Vorträge hält. Und dies nicht nur für Gäste, sondern auch für die Crew. Mein Buch über „Faszination Vortrag“, welches zum Jahresende herauskommt, knüpft daran an. Ich könnte mir gut vorstellen, mit diesem Buch auch als Edutainer an Bord unterwegs zu sein – oder ein Mix aus Lektor und Edutainer.

Um nochmals auf die Frage zurückzukommen:

Meiner Meinung nach muss es heißen: Vom … Reiseleiter, Scout, Excursion Manager … zum Kreuzfahrtlektor!

Wie lange dauert ein Vortrag?

In der Regel dauert ein Vortrag 60 Minuten. Es können auch mal 45 oder 90 Minuten sein. Dabei ist zu bedenken, dass z.B. eine Schulstunde nicht ohne Grund 45 min hat – irgendwann lässt die Konzentration einfach nach. Es ist immer besser, die Gäste fragen nach mehr und hoffen nicht, dass es endlich ein Ende findet.
Martin Luther sagte ganz profan: „Geh auf die Bühne, mach´s Maul auf und geh beizeiten wieder ab!“. Daran habe ich mich immer orientiert.

Wie gut sind die Vorträge besucht?

Das hängt in erster Linie von der Kunst des Lektors ab, die Gäste zu begeistern.

Liest man z.B. Texte ab, gibt es gleich den sogenannten „Abzug in der B-Note“. Man benutzt für diese Art von Lektoren / Dozenten mittlerweile einen weniger schönen (Fach-)Begriff. Sie werden „Waschbecken-Redner“ genannt, weil alles, was sie ablesen direkt in das Abflussrohr gelangt, ohne den Zuhörer wirklich zu erreichen. Was fehlt, ist der ständige Blickkontakt und die wichtige Interaktion mit dem Publikum.

Ich hatte das Glück, auf meiner letzten Reise 1.500 Gäste von 1.900 Passagieren im Theatrium zu haben. Das hat mich unglaublich gefreut und sehr motiviert.

Allgemein kann ich für mich sagen, je exotischer und unbekannter das Fahrtgebiet ist, desto größer ist das Interesse an Vorträgen bei den Gästen. Ansonsten kämpft man wie alle Bühnen-Menschen gegen Essenszeiten, schönes Wetter und andere Konkurrenzveranstaltungen.

Axel C. Brüggemann bei einem Vortrag über Petra, Jordanien
Axel C. Brüggemann bei einem Vortrag über Petra, Jordanien

Wie oft finden Vorträge während einer Kreuzfahrt statt?

Vorträge / Lektorate finden in der Regel ein Mal an den jeweiligen Seetagen statt – vorzugsweise vormittags. Es gibt aber auch Vorträge an sogenannten halben Seetagen oder Kommentare von der Brücke etc. bei schönen Passagen und Einfahrten in besondere Häfen.

Sind die Gäste auf Landgang, gibt es keine Vorträge. Je nach Reederei kann / muss / darf der Lektor Ausflüge begleiten. Der Lektor ist eine große Hilfe, wenn es darum geht, die Erläuterungen eines Reiseführers vor Ort auf Deutsch zu übersetzen.

Axel C. Brüggemann im Interview
Axel C. Brüggemann im Interview

Welche Schwierigkeiten gibt es während einer Kreuzfahrt zu bewältigen?

Wenn es während einer Reise zu einer Umroutung kommen sollte, ist u.a. der Lektor gefragt. Gibt es plötzlich einen Seetag mehr, greift man gerne auf den Experten zurück und bittet ggf. um einen Zusatzvortrag. Dies könnte ein Spezialvortrag sein, den der Lektor in petto hat, und der auch losgelöst von den Häfen funktioniert. Äußerst selten kommt spontan ein ganz neuer Hafen hinzu.

Gibt es gravierende Unterschiede der angestrebten Destinationen bezüglich der Schwierigkeitsgrade?

In den meisten Fahrtgebieten kann man aus dem Vollen schöpfen. Hier hat der Lektor eher die Aufgabe, die Zeitvorgabe über 60 min einzuhalten. Ein paar Destinationen sind zwar wunderschön, wie die kleinen Antillen, Seychellen, Malediven etc., aber die Ausbeute für jeweils volle 60 Minuten spannende, unterhaltsame Informationen ist doch relativ begrenzt. Wenn mich Historie und Kunsthistorie im Stich lassen, greife ich gerne auf mein Studium der Geographie zurück: Wie entstehen eigentlich Inseln insgesamt und was sind ihre besonderen Merkmale?

Auch kurze Ausflüge in die aktuelle Politik eines Landes sind möglich. Dabei sollten jedoch persönliche, politische Standpunkte keine Rolle spielen.

Sonnenuntergang in der Wüste mit Axel C. Brüggemann
Sonnenuntergang in der Wüste mit Axel C. Brüggemann

Unterscheiden sich Kreuzfahrten untereinander, unabhängig der verschiedenen Destinationen?

Ich empfinde 7-Tages-Reisen als recht unergiebig für einen Kreuzfahrtlektor, besonders wenn diese Kurz-Reisen in die allgemeine Schulferienzeit fallen. Dort treffen zu viele Bedürfnisse der Passagiere in kurzer Zeit aufeinander. Bei Reisen ab 10 Tagen hat der Lektor mehr Zeit, das Publikum auf die Reiseroute einzustimmen. Eine Reisedauer zwischen 14 und 21 Tagen sind für mich optimal, da viel mehr Zeit bleibt, die unterschiedlichen Aspekte der gesamten Reise ausführlich und aufeinander aufbauend darzustellen.

Es gibt immer viel zu entdecken. Nicht ohne Grund enden meine Vorträge seit 20 Jahren mit dem Satz: „Bleiben Sie Neugierig!“.

Axel C. Brüggemann Collage Südafrika, Tafelberg
Axel C. Brüggemann Collage Südafrika, Tafelberg

Fortsetzung Interview Teil IV

Hier geht es zur Fortsetzung des Interviews mit Axel C. Brüggemann Teil IV. Nach der Coronapandemie.

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Artikel aktualisiert am 7. Januar 2024

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