Jakobsweg. Das Ziel bin ich (Teil 3)
Tag 5: Rubiaes – Valenca (ca. 16 km)
Begegnungen
An Tag 5 auf dem Jakobsweg wechselten sich Regen und Sonne ab, während uns ein weiteres, außergewöhnliches Stück Wald bergab führte. Am Ende erwarteten uns ein behelfsmäßig aufgebauter Stand und eine liebenswerte und energiegeladene Brasilianerin, die uns Pilger mit selbstgemachten Muffins, Obst und eigener produzierter Zitronenlimonade versorgte. Sogar Klappstühle standen bereit.
Der Weg und ich sind das Ziel
Die Dame lebt mit ihrem Mann in Deutschland. Sie haben sich in Portugal ein kleines Grundstück gekauft, welches Sie mit ihrem Häuschen bebauten. In ihrer Gesellschaft befand sich ein weiterer Pilger, der seit Wochen mit dem Rad auf dem Jakobsweg unterwegs ist – allerdings südwärts, entgegen dem Strom.
Es ist schön, die Pilger- und Lebensgeschichten zu hören. Wir lachten so viel und blödelten herum, dass wir fast die Zeit vergaßen. Als wir uns verabschiedeten wurde mir einmal mehr klar:
Eine einzige Begegnung kann mehr in Gang bringen, als wochenlanges Gedankendenken. Empfangen und loslassen. Offen sein. Raus aus der Komfortzone. Vorgegebene Routen individuell anpassen. Erkennen neuer Optionen.
Ich fühlte mich wie neu aufgetankt. Mit frischen Ansichten. Ich war auf dem Jakobsweg angekommen.
Bienvenidos a Espana
Tag 6: A Guarda – Oia (ca. 18 km)
Tag 7: Oia – Baiona (ca. 17 km)
A Guarda, Google Maps
Am Morgen des Tag 6 entschieden wir uns, mit dem Taxi zurück an die Küste zu fahren und Portugal hinter uns zu lassen. Wir starteten also die nächste Etappe ab A Guarda, das an der Mündung des Grenzflusses Mino liegt, mit Ziel Oia.
Wer ein bisschen Zeit übrig hat, kann von dem 340 Meter hohen Aussichtspunkt über dem Rio Mino den ausdrucksvollen Panoramablick genießen.
Im Regen erreichten wir den abwechslungsreichen Pfad an der Küste. Hier mischen sich sattgrüne Wälder mit der rauen Schönheit des Atlantiks. Es eröffnet sich eine Art Trampelpfad vor uns, der uns zwischen Büschen mit leuchtendem Heidekraut hindurchführte. Das Laufen war uns mittlerweile ins Blut übergegangen und wir wussten, dass wir uns mit den kürzeren Etappen nicht überforderten. Ich fühlte mich schon lange nicht mehr so frei.
Entschleunigung
Um ehrlich zu sein, war mir dieses Gefühl fast schon unbekannt. Ich hatte vorher nicht mal gemerkt, dass ich es so sehr vermisse. Was entschleunigen alles bewirken kann.
Im weiteren Verlauf führte der Weg von der Küste hinauf, auf eine gut befahrene Landstraße. Und nachdem ich mich die Tage vorher schon damit abgefunden hatte, dass ich verlottert – und bis höchstens 11.30 Uhr frisch – durch die Gegend lief, nahm ich auch noch von meinem letzten Funken Eitelkeit Abschied – in dem Regenponcho der mich aussehen ließ, wie einen trotteligen, aber dennoch liebenswerten Wonneproppen.
Trotz allem fühlte ich mich richtig gut, frei, dankbar und beschwingt.
Ich war eins mit der Natur und dem Leben.
Der Regen hatte mittlerweile aufgehört und wir erreichten Oia – ein bezauberndes Fischerdorf mit einer zerklüfteten Küste, die jahrtausendelang vom temperamentvollen Atlantik zu Form und Farbe von heute geformt wurde. Was für ein bezauberndes Fleckchen Erde.
Der dicht bewaldete Hang im Rücken, der ausdrucksstarke Atlantik im Blick. Die Lebendigkeit dieser Ortschaft sprang sofort auf mich über.
Ich kann nicht genau sagen, was es genau war. Die Energie erfüllte mich. Von meinem Bett in der Unterkunft sah ich das Meer nicht nur, sondern hörte es auch. So lässt es sich schlafen… Nach der wohltuenden Dusche ließen wir uns durch die entspannte Atmosphäre des Ortes treiben. Kinder spielten auf der Straße, verschiedene Generationen saßen auf einer Mauer mit einem Glas Wein, lachten, gestikulierten und wirkten zufrieden. Ein Stück entfernt stellten wir Musik auf dem Handy ein und tanzten. Einfach so.
Es ist nicht verwunderlich, dass dieser liebenswerte Ort das erste Glücksdezernat Galiciens eingerichtet hat.
Ich war etwas traurig bei dem Gedanken, nicht noch ein bisschen verweilen zu können.
Unsere letzte Etappe nach Baiona
Am Tag 7 starteten wir leichtfüßig unsere letzte Etappe nach Baiona. Der Weg führte vom Pfad auf einen Hügel. Ich erkannte jeden Grünton, sah jeden Schmetterling, roch an fast jedem Eukalyptuszweig. Viel zu schnell und nach gefühlten 9 km, die tatsächlich 17 km waren, erfolgte auch schon unsere Ankunft in Baiona. Wir saugten hier nochmal die Leichtigkeit des Südens auf. Der Ort hat etwas romantisches. Der kleine Hafen. Das kleine historische Zentrum, das geprägt ist durch mittelalterliche Steinhäuser. Auf einer Halbinsel vor der Altstadt liegt die mächtige Festung Baiona. Es ist ein aufgeweckter Küstenort, in dem man herumschlendern und sich in das lebhafte aber dennoch entschleunigte Treiben einschwingen kann.
Ich wollte nicht heim. Wollte weiterlaufen. Der Jakobsweg war gut zu mir. Er machte mich auf so vieles aufmerksam, was sonst nicht sichtbar wurde. Was ich im geschäftigen Treiben nicht merkte. Was ich als normal betrachtete. Der Jakobsweg hat es mir gezeigt. Er hat mich in seinen Bann gezogen, mich getragen. Er führt einen zu Antworten für die nicht mal eine Frage existierte. Pilgern ist magisch. Ich komme sicher wieder.
Bon Camino!
Lesetipps
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Diskussion
betravel Reiseredaktion
Artikel aktualisiert am 12. Mai 2022

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TIPP: 2021 ist ein besonderes Jahr für alle Jakobsweg-Wanderer, denn der Namenstag des heiligen Jakobus fällt am 25. Juli 2021 auf einen Sonntag! Das ist die Bedingung, dass die Besucher die Kathedrale von Santiago de Compostela durch die sogenannte Heilige Pforte betreten dürfen. Davor war es vor genau 11 Jahren das letzte Mal, dass der Namenstag auf einen Sonntag gefallen ist. Wer also vorhat, diese Wanderung zu machen, sollte die Tagesabschnitte für diese Reise genau planen, damit die Ankunft am 25. Juli zeitlich passt!
Finde es eine tolle Erfahrung die hier beschrieben wird. Bin auchveinfach mal damals mit einem Freund losmarschiert und es ist toll wie einen selbst so etwas „befreit“
Hallo Oscar, was für eine Wanderung habt ihr damals gemacht?
Hallo Oscar, danke :)
Warst Du auch so überrascht von dem, was dabei raus kam? Klingt jedenfalls nach einer ähnlich intensiven Erfahrung :) Viele Grüße, Kerstin
👍
In welchem Zeitraum seid ihr den gelaufen? Im Frühjahr oder Sommer? und wann ist die beste Zeit für den Jakobsweg? Wie alt wart ihr, als ihr losgelaufen seid? Habt ihr auch ältere Pilger getroffen ode r hauptsächlich Jüngere? Viele Grüße Hannelore
Hallo Hannelore, danke für Deine Nachricht :) Wir waren im Juni dort. Generelle Jakobsweg Hauptsaison ist wohl April bis Oktober, außerhalb dieser Monate könnten einige Herbergen geschlossen haben. Auf unserer Route waren wir mit recht günstigen Hotels und genug freien Betten versorgt. Jede Region hat dann nochmal ihre eigenen Merkmale.
Wir waren Anfang 40 zum Reisezeitpunkt. Wir haben nicht sehr viele Pilger getroffen – schätzungsweise waren diese zwischen 22 und knapp 60. Falls Du Interesse hast, kann ich Dich gerne bei der Recherche für Deine individuellen Pläne unterstützen.
Viele Grüße, Kerstin
Hallo Kerstin. Ich danke dir für die Auskünfte, die mir sehr weiterhelfen, wenn ich mich dazu überwinden kann, so einen Marsch und Kraftanstrengung auf mich zu nehmen. Ich bin noch unentschlossen, aber es war sehr interessant, den Reisebericht von dir zu lesen. Vielen Dank dafür. Hannelore
Hallo Hannelore,
sehr gerne und es freut mich, dass Dir der Reisebericht gefallen hat :)
Viele Grüße,
Kerstin
Hi Bernd, vielen Dank! Es hatte tatsächlich etwas magisches :) Wir hatten uns vor einiger Zeit hier beim Wandern verlaufen, weil wir die Karte nicht offline geladen hatten und das Netz plötzlich weg war. Wir haben uns so sehr nach den gelben Pfeilen gesehnt – sie haben uns getragen :) Grüsse, Kerstin
Eine sehr schöne Geschichte. Von den Anfängen der Begeisterung über die Anstrengungen und Schmerzen bis zur seelischen Reife. (Ich bin das Ziel)
Vielleicht muss ich den Trail auch mal laufen, wenn ich Zeit habe :-)