Die harte Lektion gleich zum Beginn der Pilgerwanderung

Tag 1: Porto – Vila do Conde (ca. 25km)

Tag 2: Vila do Conde – Barcelos (ca. 26 km)

Da wir an unserem Anreisetag zum Jakobsweg noch ein wenig Zeit eingeplant hatten, konnten wir uns einen Teil des Altstadtviertels von Porto, Ribeira, anschauen, den Charme der Stadt genießen und uns einschwingen auf unser Abenteuer Jakobsweg.

Die Ponte Luis I Brücke über den Douro in Porto, Portugal
Die Ponte Luis I Brücke über den Douro in Porto, Portugal
Jakobsweg, Caminho Portugues
Jakobsweg, Caminho Portugues

An Tag 1 der Wanderung ging es entlang eines Holzbohlenweges, durch Dünen und naturbelassene Strände am Atlantik. Wir trafen erste Pilger und verloren uns in jedem kleinen Detail und freuten uns wie Kinder. Nach ungefähr 10 Kilometern drückten schon die ersten Stellen vom Rucksack und meine Füße flüsterten die ersten Liebesgrüße. Nach dem Erreichen des Tagesziels, nach 18 km in Labruge, entschieden wir uns trotz Schmerzen dafür, weitere 7 km zu laufen.

Man stellt das nicht in Frage, wenn man ein Rennpferd ist.

Am Nachmittag, bei Ankunft in Vila do Conde habe ich mich verflucht. Ich war mir sicher, nie wieder laufen zu können. Ich wollte nicht mal weinen, so schmerzhaft war es. Ich setzte mich kurz vorm Ziel auf eine Mauer und wusste einfach nicht, wie ich den nächsten Schritt machen soll.

Mir war alles egal. Wirklich. Ich dachte nur: Und das am ersten Tag!

Aktuelle Wetterprognose Porto, Portugal

Jakobsweg von Porto nach Santiago di Compostela
Jakobsweg von Porto nach Santiago di Compostela
Schwestern im Schmerz
Schwestern im Schmerz

Dieser Zustand hat mich jedoch nicht davon abgehalten, laut dafür zu stimmen, dass wir an Tag 2 die Route mit ca. 25 km laufen. Wieso? Das sollte ich noch erfahren. Der Jakobsweg hatte mir bereits meine Aufgabe gegeben.

Küstenroute und traditioneller Weg

Wir wechselten hier auch schon unseren ursprünglichen Kurs – von der Küstenroute auf den traditionellen Weg. Während wir über und durch Feld, Wald und Wiese marschierten, zog die Landschaft eher an mir vorbei, als dass ich ihr große Beachtung schenken konnte. Ich war zu sehr damit beschäftigt, jeder Erhebung, jedem Stein auszuweichen. Es hat so weh getan! Wieso mache ich das? Was treibt mich? Wem will ich was beweisen?
Es stellte sich heraus, dass ich nicht nur meinen eigenen inneren Antreiber unterschätzte, sondern auch den meiner Begleitung – und umgekehrt. Wir befeuerten uns gegenseitig ohne Worte. Unglaublich, was man aus Schuhgröße 38 rausholen kann.

Emotionale Höhen und Tiefen

An diesem Tag durchlebte ich einige Emotionen. Ich war körperlich fertig, wütend, aber ich unterdrückte es sofort wieder. An einem Punkt war mir nur nach weinen zu Mute, doch auch das unterdrückte ich sofort wieder.

Mir geisterte ein bekannter Satz im Kopf rum, den mir mein Antreiber zurief: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg! Ich schrie ihn an: Was hat das hiermit zu tun? Das war der Moment, in dem ich begriff, dass der Weg nicht unbedingt der sein muss, mich durch etwas durchzuprügeln. Ich kann auch den Wolkenweg wählen. Auf rohen Eiern laufen. Schleichen. Ich muss nämlich gar nichts! Was für eine Befreiung! Plötzlich fiel eine riesige Last von meinen Schultern. Ich wusste plötzlich, was meine Lektion war. Nicht immer aushalten wollen. Sagen können, es reicht! Mir doch egal, wenn ich das angepeilte Ziel von 160 km in 7 Tagen nicht erreiche. Ich hatte zwar ein schlechtes Gewissen, aber ich entschied, mich später damit auseinanderzusetzen.

Ich muss sagen, dass es extrem hilfreich ist eine Begleitung zu haben, die das Gleiche durchlebt und mit der man auch mal losschreien kann. Im Dialog löst es sich doch manchmal besser.

Nach dieser unerwarteten Erkenntnis entschied ich mich bei der Abstimmung der nächsten Tagesroute für die 14 km Tour, die wir dann auch festlegten. Wir waren Schwestern im Schmerz.

Jakobsweg, Oia Kloster
Jakobsweg, Oia Kloster
Jakobsweg, Wegweiser
Jakobsweg, Wegweiser

Der leckerste Fisch meines Lebens ..

Tag 3: Barcelos – Balugues (ca. 14 km)

Tag 4: Balugues – Ponte de Lima (ca. 17 km)

An diesem Tag 3 ging es bereits relativ schnell bergauf. Durch verschlafene Dörfer, Wälder, wild bewachsene Felder, Weinreben.

Jakobsweg, Caminho Portugues
Jakobsweg, Caminho Portugues

Uns ging es wieder gut. Es war heiß, wir waren dankbar für die Brunnen mit frischem Wasser. Wir stießen auf einen Pilgerschmaus mit Suppe, frischem Fisch und Dessert. Wir feierten dieses grandiose Mittagessen und unsere neue Gelassenheit! Ich war so froh, dass ich mir die Freiheit gönnte. Die Freiheit, hier erstmal schön zu essen und mich nicht zu hetzen. Es war so eine schöne Atmosphäre in diesem kleinen Pilgerrestaurant.

Als wir weitergezogen sind hüpften wir vor Leichtigkeit und Freude mit voller Ausrüstung über den Weg. Sicherlich war der köstliche Weißwein zum Essen nicht ganz unbeteiligt, bei 35 Grad und Mittagssonne.

Das war dann auch der Moment, in dem mein innerer Antreiber kopfschüttelnd und endgültig das Handtuch warf.

Jakobsweg, Caminho Portugues
Jakobsweg, Caminho Portugues

.. und meine erste Begegnung mit der ‘Saudade’

Tag 4 gestaltete sich landschaftlich ähnlich. Mit dem saftigen Grün der Farne, dazwischen immer mal eine paradiesische Palme. Mindestens die Hälfte dieses trüben, teils sehr nebeligen Tages fühlte ich etwas, das in Portugal und Brasilien als ‘Saudade’ bekannt ist. Ein Gefühl, welches über die Sehnsucht hinaus geht, wie etwa Melancholie, Schmerz, Nostalgie und Einsamkeit. Der Ursprung liegt laut den Portugiesen in den Entdeckungsreisen und dem damit verbundenen ständigen Abschied nehmen. Ergeben kann man sich dem Herzschmerz, in dem man dem Fado lauscht – einem portugiesischen Musikstil.

Jakobsweg, Caminho Portugues
Jakobsweg, Caminho Portugues
Saudade
Saudade

Melancholie, Schmerz, Nostalgie, Einsamkeit

Die Gedanken sind frei.

Die Natur, das Laufen in der Stille, vorbeifliegende Schmetterlinge, der Klang des Lebens um uns herum – all das passte perfekt in diese Gemütsverfassung. Ich fing an zu erkennen, wie blind ich bisher am satten Grün der Bäume und den bunten, leuchtenden Farben der Blumen vorbeigerauscht bin. In der Hektik des Alltags, die mir bis zu dem Moment nicht einmal wie Hektik vorgekommen ist. Ich fing an, Schnelligkeit und vollgepackte Tage zu überdenken. Nach den intensiven Erlebnissen der vorangegangenen 3 Tage erlaubte ich mir diese zurückgezogene Stimmung.

Aufgrund einer fehlerhaften Buchung am Etappenziel Ponte de Lima, sind wir mit dem Taxi zur nächsten Etappe gefahren – nach Rubiaes.

Fortsetzung folgt mit Auf dem Jakobsweg. Teil 3

Welche Begegnungen mit Pilgern und Einheimischen erwarten uns auf unserer weiteren Wanderung? Wie schaffen wir es raus aus der Komfortzone? Wann ist man auf dem Jakobsweg ‘angekommen’?

Vielen Dank für Deine Aufmerksamkeit. Ich bin offen für Fragen zu unserem Abenteuer. Wenn Du auch planst, den Jakobsweg zu laufen, dann darfst Du gerne Kontakt mit mir aufnehmen.

Kerstin Reichhold

< Auf dem Jakobsweg unterwegs. Teil 1

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